Glen Moray

Ein Klassiker aus Elgin

Richard Gordon frischt alte Bekanntschaften auf


"Bitte erzählen Sie mir doch von den Schädeln,Edwin." Ich muß gestehen, daß ich nur allzu gern dieGelegenheit wahrnahm, meine Bekanntschaft mit der Glen MorayDestillerie aufzufrischen, nicht nur, um Edwins Geschichtewiederzuhören, sondern auch um meine "Dicken" zubesuchen. Aber bevor ich von meinen lieben Freunden erzähle,etwas Hintergrund.

Es war viele Jahre her, daß ich die Brennerei besucht hatte,doch Edwin Dodson, Leiter der Brennerei seit 1974, hatte sichnicht verändert. Überhaupt schien nur wenig verändert, seitich vor vielen Jahren die Aufgabe übernommen hatte, den Marktfür Glen Moray zu entwickeln.

Die Glen Moray Destillerie wird imSeptember dieses Jahres ihr 100-jähriges Bestehen feiern. 100Jahre als legale Brennerei und davor schon viele Jahre alsBrauerei in einer Stadt, die einst über 80 Brauer zählte. Vorden Unionsverträgen war Elgin in vieler Hinsicht die Hauptstadtdes Nordens. Sein Reichtum stammte aus einem schwunghaften Handelmit den baltischen Staaten, nicht zuletzt mit Bier und AquaVitae. Das Brauereiwesen ist ein natürliches Resultat derFruchtbarkeit der Umgebung Elgins, des Laich of Moray, der auchals "Kornkammer Schottlands" bekannt ist. Der Laich,die Küstenebene am Moray Firth, erfreut sich eines milden,gemäßigten Klimas, das reiche Ernten ermöglicht. Man sagt,"Moray hat vierzig Sommertage mehr als jede andere GegendSchottlands". Nun, auf meinen Besuch traf das nicht zu. Esgoß nur so. Immerhin, es hätte weit schlimmer sein können hieram 58. Breitengrad, leicht nördlich von Moskau.

Die Brennerei steht auf geschichtsträchtigem Boden. Die alteStraße nach Elgin führt geradewegs durch das Brennereigelände,welches im Laufe der Jahrhunderte alle Höhen und Tiefen derLegenden, Triumphe und Katastrophen Schottlands erlebt hat. Wasfür Namen: St. Columba, Edward der Erste, der "Hammer derSchotten", der Wolf von Badenoch, der die Kathedrale derStadt niederbrannte, Macbeth, High Steward of Moray, späterKönig von Schottland, verfolgte den verwundeten Duncan, der inElgin seinen Verletzungen erlag. Prinz Charles zog sich hierhinins Culloden Moor zurück, verfolgt von "Schlächter"Cumberland und den hannoveranischen Streitkräften.Wenn Elginauch nicht mehr die Hauptstadt der Welt ist, kann es doch mit Fugund Recht behaupten, ihre Malzwhisky-Hauptstadt zu sein. DerWhisky aus der Glen Moray Destillerie ist ein klassischesBeispiel seiner Art: leicht, duftig, komplex und esterig, mitallen Vorzügen der Brennereikunst von Speyside. Glen Moray istüblicherweise in eleganten, blauen Packungen 12- und 16-jährigerhältlich.

Wenn man aus Richtung Inverness ankommt, sieht man zuerstniedrige, traditionelle Lagerhäuser (in denen 50 000 Fässerlagern) und das große, schwarze Getreidelager aus den 60erJahren (das demnächst renoviert werden soll). Dieser erste,wenig einladende Eindruck täuscht jedoch. Die eigentliche, rechtansehnliche Brennerei zu finden ist allerdings eine Sache fürsich; viele Leute wissen nicht einmal von ihrer Existenz, dennsie liegt in einem kleinen Tal hinter den Wohngebieten der Stadtversteckt.

Glen Moray hat einen kleinen, hübschen Mittelhof, von wo wirunseren Rundgang begannen. Die Brennerei ist sehr kompakt undnutzt die ursprünglichen Brauereigebäude so gut es geht. Zuerstbesuchten wir die Getreidemühle, die sich in voller Fahrtbefand. Dod Grant, der bei Glen Moray anfing, bevor ich auf derWelt war, nahm gerade Proben des Mahlguts. Er ist ausgebildeterDestillateur, doch lernte er gerade die Kunst des Maischens, Teileiner Maßnahme von Edwin Dodson, der seine Mitarbeiternvielseitiger machen möchte. Dod ist einer von vierDestillateuren, die zusammengenommen über eine Erfahrung von 122Jahren verfügen. Er hat noch einige Jahre bis zur Pensionierung.Wenn es soweit ist, gibt es sicher ein großes Fest, denn dasDatum fällt auf den 1. Januar 2000.

Wir gingen weiter zum Maischeraum und dem Maischbottich ausrostfreiem Stahl, wo der Gerste gerade das erste Wasserbeigegeben worden war. Ein wunderbarer, süßer Geruch vonwarmem, malzigem Porridge erfüllte die Luft. Das wareine von 14 Maischen der Woche. Das Wasser für die Maische kommtaus einer Quelle, deren Wasser ursprünglich vom Dhu Moor kam.Das Malz selbst ist leicht rauchig, aber interessanterweise kanndas Wasser zusätzliche Torfnoten im fertigen Whiskyhinterlassen. In dem engen Raum gingen wir zu den fünf Stahl-Washbackshinüber. Der Geruch erinnerte mich an die Heimbrauversuchemeiner Jugend. "Dies hier ist auf gutem Wege," sagteEdwin. Und so bekam ich zur Begrüßung eine Ladung CO2 insGesicht, als ich mich zu weit über die Öffnung des Bottichsbeugte. Ich werde wohl nie dazulernen.

Auf dem Weg in den Destillierraum erzählte mir Edwin, wie ervor kurzem einer Einladung in die USA gefolgt sei, um einemBourbon-Destillateur die alten pot-still Bourbons zurekreieren. Frühe Zeugnisse über die Brennerei in denVereinigten Staaten sind schwer zu finden, deshalb bat man Edwinum Rat, als es darum ging, den neuen Kupferkessel, den PotStill, in Betrieb zu nehmen. Übrigens hat 1789 PfarrerElijah Craig, auch ein Schotte, den ersten Bourbon-Whisky inAmerika destilliert. Die Geschichte wiederholt sich...

Im Destillierraum war gerade ein Durchlauf zu Ende. Die beidenWash Stills waren dick und zwiebelförmig, die SpiritStills von ähnlicher Form, aber kleiner und eleganter. Inder Ecke waren immer noch die alten mannsgroßen Öffnungen,deren Jahreszahl 1897 deutlich im dicken Metall zu erkennen ist.Früher pflegte man diese Türen mit Stöcken aufzusperren, wennman sich zum Reinigen in die Brennblase beugte. Angesichts desGewichts dieser Türen hätte ich nicht den Hals drin habenwollen, wenn der Stock einmal abgerutscht wäre... Jetzt war dieDestillation beendet und lediglich ein dünnes Rinnsal lief durchdie beiden glänzenden Destillatbehälter. Im Laufe eines Jahreslaufen etwa 1,85 Millionen Liter Alkohol durch das Glas dieser spiritsafes.Auf dem Weg zum Zollagerhaus ergab sich dieGelegenheit, Edwin noch einmal auf seine Geschichte anzusprechen.Denn Lagerhaus Nr. 1 liegt im Schatten des Gallow Crook Hill, demeinstigen Arbeitsplatz der beiden Henker der Stadt. Hier wurdenMörder, Diebe und Hexen "durchs Feuer zu Tode gebracht, aufdem Galgen aufgeknüpft oder ertränkt", wie es sich jeweilsergab. Aus alten Urkunden ist ersichtlich, daß die Leichen derHingerichteten am Galgen hängengelassen wurden, bis siestückweise herunterfielen oder entfernt wurden, um ihrenunglücklichen Nachfolgern Platz zu machen. Diese unerquicklichenTätigkeiten erstreckten sich bis ins späte 17. Jahrhundert,obwohl die Überreste des Galgens noch im 20. Jahrhundert zusehen waren.

Das Lagerhaus Nr. 1 lag früher etwa einen Meter tiefer alsheute, und bei starken Regenfällen drang immer wieder Wasserein. Anfangs der 60er Jahre beschloß man, das Lagerhaus höherzu legen, wobei man Schüttmaterial von dem oben gelegenen Hügelverwendete. Beim Graben entdeckten die Arbeiter dreiTotenschädel. Nachdem sie gereinigt waren, wurden die Schädelzu interessanten Ausstellungsstücken im Destillierraum. DavidMathieson, der 1975 pensioniert wurde, war damals Braumeister.Eines Tages sah er sich einen der Schädel genauer an und fandein Loch im Hinterkopf, hinter dem Ohr, und eine Bleikugel imUnterkiefer. Vielleicht hatte der Meisterhenker eine Hinrichtungbeenden müssen, die sein neuster Lehrling verkorkst hatte. DerSchädel tat ihm leid und David Mathieson hatte das Gefühl, demMann würde ein wenig Frischluft gut tun. So legte er ihnvorsichtig auf das Armaturenbrett und versetzte ihn in den Genußseiner allerersten Autofahrt rund um Elgin, um ihm zu zeigen, wiesehr sich alles verändert hatte. Passanten, an nickende Hundehinter der Rückscheibe gewöhnt, werden sich gewundert haben. Zualler Beruhigung kann ich sagen, daß nach Beendigung derArbeiten am Lagerhaus die Schädel wieder sicher begraben wurden.

Edwin hatte gerade seine Geschichtegerade beendet, als die Türen zum Lagerhaus Nr. 1 aufgingen unddie kalte, feuchte Luft voller Eichen- und Alkoholdüfte unsbegrüßte. Der Boden war bloße Erde, die Decke niedrig, dieFässer in Dreierreihen übereinander gestapelt. Solch eintraditionelles Lagerhaus gilt als das Beste für dieWhiskyreifung, denn seine schwüle, dunkle Atmosphäre bietet dierechte Mischung für das Zusammenspiel von Luft, Eiche undDestillat. Dieses war ein perfektes Beispiel.

Und da lagen sie in einer dunklen Ecke, meine vier"Dicken". Im Halbdunkel ging ich hin, um ihre schönenKurven zu streicheln, ihre leicht gewölbten Bäuche. Ja, sieschliefen dort wunderbar. Letztes Jahr wurde in Spanien eineAnzahl erstklassiger Sherryfässer für die Society ausgewählt.Einige davon schickten wir nach Glen Moray, um sie mit neuemDestillat füllen zu lassen. Diese "Dicken" oderGordas, um den Fachausdruck zu gebrauchen, sind größer alsSherryfässer und fassen 600 Liter - genug, um unsere Mitgliederfür eine Weile zu beschäftigen. Das einzig Traurige an meinemBesuch war das Bewußtsein, daß wir alle um einiges älter seinwerden, bis wir in den Genuß ihres Geheimnisses kommen..

 


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