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AMERIKA "WET AND DRY"
AUF DEN SPUREN DER WHISKY-BRENNER
Der braungebrannte, stoppelbärtige Typ, Marke Marlboro-Westernheld
bestellt sich lässig an der Bar einen Whisky. Doch schon nach dem ersten Schluck muß er
ihn verächtlich vor den Augen des Barkeepers auskippen "Das ist kein Jim
Beam!". Plötzliche, angespannte Stille. Die Kerle, die ringsum in der verräucherten
Kneipe hocken, blicken auf. Aha, endlich mal was los in dem Kaff!
Leider haben wir nie erfahren, wie die Geschichte weitergeht, die
wieder mal an der spannendsten Stelle ausgeblendet wird. Was ist denn nun dran an der
Markenspinnerei wie der Typ in der Bar sie uns vorführt? Nach neu erwachtem Interesse
decken wir uns mit einschlägiger Literatur ein und machen eine Whisky-Probe in einem
dafür spezialisierten Freiburger Lokal. Dabei lernen wir dann, dass es tatsächlich
wesentliche Unterschiede gibt, wie beim Wein etwa. Wobei der Rohstoff für dieses
blassgelb bis rotgolden schimmernde Destillat Getreide ist. Ein echter Scotch darf nur aus
über dem Torffeuer gedarrtem Gerstenmalz ("Malt") hergestellt sein, in einer
billigeren Version ("Blended") ist Mais oder Weizen mit im Spiel. Wenn der
Urstoff Roggen ("Rye") oder Mais ("Bourbon") ist, stammt das Gebrannte
aus einer amerikanischen Destillerie, schreibt sich üblicherweise mit "e" nach
dem "k" (=Whiskey, - Ausnahmen bestätigen die Regel) und genau darauf fährt
der Cowboy-Typ am Tresen ab.
Wir sind neugierig geworden. Und weil wir auch in Sachen Wetter eher
auf Vorurteile denn auf Wunder bauen, reisen wir nicht nach Schottland, sondern nach USA,
in die Stammländer des Bourbon, Kentucky und Tennessee.
Wir beginnen unsere Tour im nördlichen der beiden Staaten,
Kentucky, dem "Blue-Grass-State" der seinen Namen den Knospen bestimmter
Grassorten verdankt, die im Frühjahr bläulich schimmern. Tatsächlich ist die Landschaft
geprägt durch bäuerliches Acker-, Wald- und Weideland mit vereinzelten riesigen Farmen.
Drei Dinge sind es, die Kentucky zunächst charakterisieren: Tabak, Whiskey und Pferde.
Jedes Jahr im Mai findet in Louisville das berühmte Kentucky-Derby statt, zu dem alles
was Rang und Namen in Branche und Gesellschaft hat erscheint. Südlich von Louisville, in
Clermont wollen wir mit Jim Beam's
American Outpost unsere Bildungsreise in Sachen Whiskey starten. Doch Amerikas
größter Bourbon Exporteur gibt sich zugeknöpft: Keine Chance ins Innere der riesigen,
über 50 Gebäude zählenden Produktionsstätte hinein zu gelangen, - die Besucher werden
im Visitor-Center mit einem Info-Film abgespeist. Im sogenannten Museum kann man einige
der ausgestellten Motivkaraffen natürlich käuflich erwerben, auch so manch anderes
Souvenir mit dem Firmenlogo. Dass die Mammut-Brennerei jedoch längst kein Familienbetrieb
mehr ist, sondern dem Fortune-Brands
Konzern gehört wird möglichst nicht hervorgehoben.
Unsere Illusion von der idyllischen Eichenholz-Destillerie ist
jedenfalls schnell dahin, auf der Suche nach Ursprünglicherem geht unsere Fahrt weiter
nach Süden. Unterwegs machen wir in Bardstown Halt, wo im "Oscar Getz Museum of
Whiskey History" eine ansehnliche Sammlung wirklich antiquierter Flaschen, Karaffen,
Destilliergeräte und Urkunden zu bewundern ist. In der Talbott Tavern, einem 200jährigen
Gasthaus unweit der St. Joseph Kathedrale im Ortskern kann man eine Reihe von regionalen
Whiskeys verkosten, denn zum Glück liegt Bardstown in einem "Wet (nassen)
County". Was nicht heißen soll, dass es hier öfter als anderswo regnet, nein,
vielmehr kann man hier in geschlossenen Räumen Alkoholisches zu sich nehmen, ohne sich
dem Gesetz nach strafbar zu machen. Überall in den USA ist es verboten, in der
Öffentlichkeit alkoholische Getränke zu konsumieren; was jedoch den Verkauf anbetrifft,
ist die Gesetzgebung den Countys überlassen: In "Wet" Countys darf Alkohol in
speziellen "Liquor-Shops" verkauft werden, wird Bier, Wein und Hochprozentiges
in Gaststätten und Bars mit Lizenz ausgeschenkt. In "Dry" (trockenen) Countys
dagegen ist Handel und Genuss absolut verboten und größtenteils auch verpönt. Was die
Bürger dann allerdings daheim im stillen Kämmerlein tun, nachdem sie den Inhalt ihrer
braunen Papiertüten ausgepackt haben, darauf nimmt der Gesetzgeber keinen
Einfluss.
Wir hatten anfangs unsere Schwierigkeiten mit diesen
Gepflogenheiten. Fragte uns die Bedienung eines Lokals nach unseren Wünschen und wir
bestellten arglos "Two Whiskeys" flogen die Köpfe sämtlicher Gäste von den
umliegenden Tischen zu uns herum, die Gespräche verstummten. Das Servierfräulein klärte
uns dann im Flüsterton darüber auf, dass dies hier ein "Dry County" sei und
nur "Soft Drinks" ausgeschenkt würden. Im Restaurant eines Hotels beobachteten
wir, wie Gäste am Nebentisch eine Flasche Wein mitbrachten und sie während der Mahlzeit
leerten, was wohl durchaus möglich ist, wenn das Lokal keine Lizenz zum Alkoholausschank
besitzt. Also fragten wir eines Tages höflich in dem Restaurant, wo wir abends essen
wollten, ob es erlaubt sei, sich eine Flasche Bier mitzubringen. Die Besitzerin funkelte
uns daraufhin wütend durch ihre Brillengläser an, riet uns mit lauter, aufgebrachter
Stimme, zur Tankstelle hinüber zu gehen, ein "Sixpack" zu besorgen, und es zu
genießen (sie sagte tatsächlich: Enjoy It!), aber im Motel-Zimmer bitteschön,
keinesfalls bei ihr im Lokal! Mein Mann bedankte sich mit einem charmanten Lächeln für
diese Information, und wir verließen unter den erstaunten Blicken der Gäste das kleine
Gasthaus. Das wir an diesem Abend tatsächlich zum Dinner wiederkamen - ohne Bier
versteht sich - muss die arme Frau gänzlich aus der Fassung gebracht haben. Sie wurde
nicht müde nach unseren Wünschen und unserem Wohlergehen zu fragen und verabschiedete
uns am Schluss wie VIPs, von deren Beurteilung die persönliche Existenz abhängt.
Südlich von Bardstown fahren wir gemütlich auf kleinen Sträßchen
durch die frühsommerliche Hügellandschaft. Einem Fachbuch über Whiskey zufolge
muss
hier irgendwo die Gemeinde Loretto liegen, wo sich eine unter Bourbon-Kennern
hochgeschätzte Brennerei befindet, die "Happy-Hollow-Destillery", die auf einem
unscheinbaren kleinen Schild am Straßenrand sogar als "American Historical
Monument" ausgewiesen ist. Dies hier ist amerikanische Provinz pur: Die Briefkästen
mit den roten Fähnchen sind liebevoll bemalt, die Holzhäuser ordentlich gestrichen, die
Farmhäuser inmitten grüner Weiden wie aus dem Bilderbuch mit der Scheune mit
abgerundetem Dach, runden Turmsilos und weitreichenden Holzlattenzäunen. Unserem
Mietwagen mit Georgia-Kennzeichen blicken die Einheimischen nach. Anscheinend finden nicht
viele Fremde den Weg hierher. Ein paar Kilometer außerhalb des Dorfes dann in einer Senke
an einem Bach gelegen mehrere schwarze Gebäude mit roten Fensterläden, - die Brennerei,
wo der "Maker's Mark"
hergestellt wird. Viele Komponenten spielen zusammen, um aus diesem Destillat den
"Mercedes unter den Bourbons" gedeihen zu lassen: Es wird grundsätzlich nur
soviel Whiskey produziert, dass der Wasserbedarf aus dem eigenen Brunnen genügt (das sind
höchstens 4800l am Tag, Maker's Mark ist somit die kleinste Brennerei Kentuckys). Das
Getreide von allerhöchster Qualität stammt ausschließlich aus der Umgebung. Anstelle
von Roggen wird Winterweizen zusammen mit Mais und Gerstenmalz verwendet. Das Destillat
kommt niemals in Metalltanks, - nur Holzfässer finden Gebrauch. Kenner wissen denn auch
den klassischen Bourbonduft und -geschmack mit seiner besonderen Weichheit und einem
sauberen Abgang zu schätzen. Aber das ist noch nicht alles: In dieser Produktionsstätte,
das sehen wir bei einer Führung mit eigenen Augen, wird noch vieles von Hand gemacht, was
woanders längst Maschinen erledigen: das Etikettieren beispielsweise. Außerdem wird am
Schluss noch jede einzelne Flasche in rotes Siegelwachs getaucht. Selbst die winzigen
Probierfläschchen werden so verschlossen. Am Ende der Besichtigung, die natürlich
umsonst ist, entschuldigt sich die Dame der Firma höflich dafür, dass sie uns als
Kostprobe leider nur mit "Maker's Mark" verfeinerte Pralinen anbieten könne,
der Whiskey selbst sei im benachbarten "Nassen" Nelson County zu haben.
Beim nächsten Liquor-Shop schlagen wir zu: Der Ladenbesitzer staunt
nicht schlecht, als wir gezielt nach den Erzeugnissen kleinerer regionaler Brennereien
fragen, die wir aus dem Whiskey-Brevier kennen. Er hatte immer vermutet, man wisse in
Deutschland nur vom Jim Beam, den er verächtlich Spiritus nennt, oder allenfalls von Jack Daniel's. Während die Kinder mit einer
Limonade zufriedengestellt werden und an einem Flipperkasten herumspielen dürfen, führt
uns der Boss ausführlich und praktisch in die Geheimnisse der golden schimmernden Brände
ein. Die Regale seines pubähnlichen Ladens sind bis unter die Decke mit Hochprozentigem
gefüllt. Nur eine kleine Ecke ist Wein vorbehalten, Bier kommt direkt aus riesigen
Kühlschränken. Wir entdecken "Sweet German Wine" von der Mosel, auch
Jägermeister und Löwenbräu fehlen nicht. Immer wieder steigt der Chef mit der Leiter in
den Regalen herum, um uns noch mehr besondere Whiskeys präsentieren zu können und kommt
dabei trotz Klimaanlage ins Schwitzen. Zuletzt verlassen wir den Laden mit einem großen
Karton, in dem sich eine ansehnliche Zahl liebevoll verpackter Flaschen befindet, die
wenigen Bierdosen, Limo- und Wasserflaschen haben dagegen in einer Plastiktasche Platz.
Mich schaudert nur bei dem Gedanken, wie wir diese Mengen wohl im Fluggepäck nach
Deutschland, bzw. durch den Zoll bringen würden ....
In Cave City, in Barren County sind wir recht froh um unsere
Sechserpackungen "Bud". Das Restaurant "Country Kitchen" im Quality
Inn bietet bodenständige regionale Küche, meist vom Buffet. Zur würzigen Truthahnkeule
beim Dinner schmeckt jedoch keine Cola, lieber lassen wir später in der Abgeschlossenheit
des Motelzimmers die Büchsenverschlüsse krachen. Ein zufälliger Blick in den Kofferraum
des Zimmernachbarn macht deutlich, dass wir nicht die einzigen gottlosen Sünder sind:
dort türmen sich die "Economic Packs" mit 12 bzw. 20 Flaschen zu je 12 oz.
(0,33l) Inhalt.
Tags darauf startet mein Mann zu einer Höhlentour, während ich mit
den Kindern einen nahegelegenen Vergnügungspark besuchen will. Der befindet sich gerade
mal eine halbe Meile vom Motel entfernt an der anderen Seite der Interstate No. 65. Die
Kinder an der Hand überquere ich die Autobahn auf einer Brücke, über die die
Landstraße führt und bin fast drüben, als ein Pkw neben uns bremst, der Fahrer die
Scheibe herunterlässt und mich fragt, ob er mir helfen könne. Ich schaue ihn zunächst
verständnislos an, doch dann dämmert mir schließlich: Das Bild der zu Fuß an der
Straße gehenden Person ist für den Amerikaner so ungewöhnlich, dass er eine Autopanne
vermutet. Hier fährt man eben - egal wie kurz die Strecke auch sein mag - mit dem Auto.
Tennessee ist dort, - wir erinnern uns an einen weiteren Werbespot
einer Whiskey-Brennerei aus dem 361-Seelen-Dorf Lynchburg, "wo die Welt noch in
Ordnung ist" (Zitat) und die Leute in blauen Latzhosen gemächlich die Eichenfässer
mit dem gelbgoldenen Inhalt vor sich her rollen....haha!
Doch je weiter wir nach Süden kommen, um so mehr entspricht die
Wirklichkeit dem Bild, das uns der Werbespot der Jack
Daniel's Destillerie vorführt. Eine hügelige Landschaft mit saftig grünen Wiesen
und Wäldern, kein Fabrikschlot, kein Lärm einer Industrieanlage stört das Idyll. Selbst
Lynchburg ist noch nicht durch die Leuchtreklamen einer Fast-Food-Kette verunstaltet
worden. Um den viereckigen Dorfplatz herum gruppieren sich Holz- und Backsteingebäude mit
Läden wie aus den 20er und 30er Jahren, die neben Souvenirs wirklich noch Schnur von der
großen Rolle, Kochtöpfe, Gummistiefel, Werkzeug, Räucherschinken und Kaffeebohnen
verkaufen. Einzig der Lynchburg Hardware & General Store weist in seinem Innern
deutliche Spuren einer zeitgemäßen Modernisierung auf, wen wunderts, - schließlich
gehört der Laden Jack Daniel's.
Die Gebäude der Destillerie liegen gut versteckt hinter Bäumen in
einem Talkessel und auf mehreren Hügeln ringsum, weshalb auch nicht der Eindruck einer
Mammut-Produktionsanlage entsteht wie etwa bei Jim Beam. Nach einem kurzen, informativen
Film wird man von einem Guide, der so gekleidet ist, wie wir es aus dem Werbespot kennen,
teils zu Fuß teils per Kleinbus herumgeführt. In allen Einzelheiten werden die
Entwicklungsphasen des Whiskeys vorgeführt. Von der klaren Karstquelle, aus der das
mineralfreie Wasser stammt, über die Gärbottiche bis hin zur Köhlerei, wo die Holzkohle
für den Filterprozess hergestellt wird. Dies ist eine Besonderheit des
Tennessee-Whiskeys: er wird in einem komplizierten Verfahren vor der Lagerung im
Fass
durch 3 Meter dicke Schichten von Holzkohle geträufelt. Diese Holzkohle wird eigens zu
diesem Zweck in der Brennerei hergestellt, das Holz hierfür stammt ausschließlich von
harten Zucker-Ahornbäumen aus höheren Waldregionen Tennessees. Dieses
"Läutern" nimmt dem Whiskey den letzten Rest an Fuselölen, macht ihn dadurch
bekömmlicher und gibt ihm, wie Kenner behaupten, eine ganz besondere Note. Kosten dürfen
wir dies allerdings nicht vor Ort, Sie wissen ja warum ....
Das rund 10 Meilen entfernt liegende Tullahoma wiederum liegt in
einem nassen County. Bei George Dickel
in der Cascade Hollow Destillerie, dem einzigen Konkurrenten von Jack Daniel's in
Tennessee, der nach der Prohibition überlebt hat, ist alles eine Nummer kleiner als in
Lynchburg. Das oben beschriebene "Charcoal Mellowing" - Verfahren wird hier
ebenfalls angewendet, heraus kommt ein leichter Whisky (diesmal ohne "e") mit
einem Hauch Süße und herbem Abgang. Die 1870 gegründete Brennerei liegt am Ende einer
schmalen Landstraße, hinter Normandy Dam, einem Bahnhofsweiler an einer offensichtlich
stillgelegten Bahnstrecke. Zuletzt habe ich wirklich geglaubt, wir seien längst vom
richtigen Weg abgekommen, da endlich tauchen die dunklen Holzgebäude an einem Bach auf.
Unverkennbar auch die im Freien lagernden Ahornstämme für die Holzkohle. Inmitten einer
sauber gemähten Wiese der auf alt getrimmte "Miss Annie's General Store" samt
Postamt. Während mein Mann sich durch die Destillerie führen lässt und die Kinder am
schattigen Bach spielen, habe ich schön Zeit für ein Schwätzchen mit Barbara Moore,
einer Mitarbeiterin der Firma George Dickel. Für unsere weitere Reiseplanung legt sie mir
ans Herz, unbedingt noch nach Memphis zu fahren, um das Heim von "King" Elvis zu
besichtigen.
Wir haben das dann tatsächlich auch getan. Haben uns in die
Menschenmassen eingereiht, die im Viertelstundentakt per Kleinbus vor die Villa
"Graceland" gekarrt werden, einige Räume des Hauses im Eiltempo (und gut
bewacht) besichtigen und schließlich an Vitrinen mit zahllosen Auszeichnungen, Trophäen
und Glitzerkleidung sowie endlich am Grab der Rock'n'Roll Legende vorbeidefilieren. Weder
die beiden Flugzeuge noch das Automuseum auf der gegenüberliegenden Straßenseite des
Elvis-Presley-Boulevards ließen wir aus. Aber außer diesem Spektakel haben wir uns
wenigstens noch die Entenparade im Peabody Hotel in der Innenstadt angesehen, die
gläserne Pyramide besichtigt und sind über den Mississippi gefahren, bevor wir nach
Alabama weiter reisten.
© Lucia Vallerius, Freiburg |